antiMARTERIA – Der Film zum neuen Marteria-Album “Rosswell”

antimarteriaMarteria hat einen Film gemacht. “antiMARTERIA” nimmt den Vibe von “Roswell” auf und stellt die Songs des Albums in einen größeren, einen universellen Kontext. Gemeinsam mit Regisseur und Autor Specter Berlin nimmt Marteria uns mit in eine Welt aus Townships und Trailerparks, weit raus ins All und wieder zurück ins Hier und Jetzt. Mittendrin: Marteria, Marsimoto und das mysteriöse Elfenbeinpulver. In Nebenrollen: Aliens, Superhelden, Göttinnen und ein spektakulärer Cast.

Am Anfang war eine Idee: ein fiktives indigenes Volk in einem nicht näher bestimmten afrikanischen Land, mit Stoßzähnen aus Elfenbein. Dieser Prämisse entspringt die Handlung von “antiMARTERIA”, auf diesem Bild basiert seine Botschaft. Denn aus den Zähnen wird ein mysteriöses Pulver gewonnen: die beste und begehrteste Droge des Universums – und gleichzeitig ein Symbol globaler Schuld.

 

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Die Geschichte geht so: Der kleine Ivory begibt sich gemeinsam mit seiner Mutter auf die Suche nach Trinkwasser. Just als sie fündig werden, wird diese von den Wilderern der Elfenbeinmafia erschossen. Indes ist Marteria in das Land gereist, um Promo für sein neues Album zu machen und nebenbei PR-Arbeit für Trinkwasserversorgung in der dritten Welt zu betreiben. Es ist sein Geburtstag, Grund zu feiern. Zumindest sieht das sein Manager so, der ein Päckchen mit Elfenbeinpulver besorgt und es Marteria verschwörerisch zusteckt: Musst du probieren, ist der Shit. Marteria zögert, doch er knickt ein, der Stimmung wegen. In diesem banalen Moment der Schwäche kreuzen sich die beiden Handlungsstränge – zufällig und zugleich ganz und gar zwangsläufig. Marteria wird hineingezogen in einen Strudel aus Raffgier und Rache, Katharsis und plötzlicher Klarheit. Am Ende steht, natürlich, der Sieg des Edlen über das Verdorbene. Aber es steht auch die Erkenntnis, dass niemand frei ist von Schuld. Dass alles mit allem zusammenhängt. Und dass das nicht mehr lange gut gehen wird.

Konzipiert und umgesetzt hat Marteria diesen Film gemeinsam mit Specter Berlin. Der wurde sozialisiert in der Graffiti-Szene der neunziger Jahre, hat gleichermaßen gelernt von Stanley Kubrick und Wu-Tang Clan. Anfang der nuller Jahre sorgte er als Gründer des Labels Aggro Berlin für die vielleicht größte Revolution der deutschen Hip-Hop-Geschichte. Seitdem arbeitet er, international erfolgreich, als Regisseur von Musikvideos, Kurzfilmen und Werbeclips. “antiMARTERIA” ist sein erster Spielfilm in Feature-Länge. Doch auch hier nähert er sich der Erzählung über die Bilder. Sie und die Songs aus “Roswell” waren der Ausgangspunkt, um sie entspinnt sich das Narrativ. “Anfangs wussten wir gar nicht, was es werden soll”, erinnert er sich an das erste Treffen mit Marteria. “Eine Kunstinstallation, ein Theaterstück, alles war möglich. Wir haben einfach Musik gehört und Ideen hin und her gespielt. Diese habe ich dann in eine zusammenhängende Erzählung gebracht.” Oder um es mit den Worten Marterias zu sagen: “Specter ist in meinen Kopf gestiegen und hat meine Gedanken visualisiert. Das ist etwas sehr besonderes. Er hat die Vision dieser Platte komplett verstanden.”

Entstanden ist so ein modernes Märchen, irgendwo zwischen “District 9” und dem MarvelUniversum, der Bildkraft von Beyoncés “Lemonade” und der Radikalität von “Kill Bill”. “antiMARTERIA” ist weit mehr als ein audiovisuelles Muskelspiel im Nahkampf des Aufmerksamkeitsdarwinismus. Vielmehr führt der Film das Album “Roswell” schlüssig fort und stellt die kleinen Botschaften des Ausnahmetexters Marteria in einen größeren Kontext. Es ist ein Film voller Metaphern und Gleichnisse, voller Referenzen auf Popkultur und griechische Mythologie. Auch Marterias persönliche Geschichte und Science Fiction spielen eine Rolle. Die Betonung aber liegt zu jeder Zeit auf der Fiktion. Ganz bewusst werden Bilder und historische Zusammenhänge vermischt: Das Elfenbeinpulver etwa wird durch die Nase gezogen wie Kokain, die Anführerin der Furien-Gang ist gleichzeitig ein Orakel. Es gibt Zeitsprünge und interstellare Reisen, es geht um Reinkarnation und Andeutungen von Entstehungsgeschichte. Specter und Marteria versuchen gar nicht erst, ihr ausuferndes Narrativ pseudowissenschaftlich zu unterfüttern – sie lassen einfach die Ideen, die Bilder, die Musik ihre ganze Macht entfalten. “antiMARTERIA” ist in diesem Sinn wie eine ComicVerfilmung, mit der realen Welt als Vorlage. Oder anders: Es steckt so viel Echtheit in der Botschaft des Films, dass es keinen Faux-Faktizismus braucht. “Das Märchenhafte”, sagt Marteria, “ist einfach eine gute Form, um Realität zu zeigen.”

Wie viele Märchen lässt sich auch “antiMARTERIA” vordergründig als Kampf der Guten gegen das Böse lesen. Schauderhafte, verkommene Gestalten werden heimgesucht durch edle Wesen. Die vermeintliche Frontlinie aber erzählt in Wahrheit vom Gegenteil: Jede Figur des Films steht symbolhaft für einen Charakterzug, den wir alle in uns tragen. Der raffgierige Gangsterboss Bronte genauso wie die junge Rachegöttin Romana, die ihn im Namen der Gerechtigkeit zur Strecke bringt. Das konsumgeile Feiervolk genauso wie die Wilderer, Schmuggler und Dealer, die ihre Nachfrage bedienen. Der leidende Held Marteria genauso wie sein kosmisches Alter Ego Marsimoto.

 

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“Wir in der westlichen Welt haben diese bigotte Tendenz, einzelne Dinge zu isolieren und daraus so eine Fünf-Pfennig-Moral zu machen”, so Specter. “Man postet etwas auf Facebook und denkt, das wäre eine Haltung. Aber wir können uns nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen und dann mit dem Zeigefinger darauf zeigen.” Marteria ergänzt: “Jeder ist ein Teil von allem. Ein Teil der Party, ein Teil des Rauschs, ein Teil des Elfenbeinhandels, ein Teil des Mordens. Deswegen konnten wir uns in dem Film nicht einfach hinstellen und sagen: Wir sind die Guten und bekämpfen jetzt das Böse. Denn wir sind genauso Teil des Bösen, Teil des Wahnsinns.” Die Parallele zu den globalen Zusammenhängen der jüngsten Flüchtlingskrise mag zufällig sein. Aber sie ist dennoch unübersehbar. Wenn wir alle Teil des Grundes sind, warum Menschen ihre Heimat verlassen, wie können wir uns mit einem Slogan reinwaschen?

Es gibt diese heimliche Schlüsselszene in “antiMARTERIA”, eigentlich unspektakulär und doch typisch für die sehr spezielle Wirkung des Films. Marteria kommt ins Township und freestylet auf Deutsch durch ein Megaphon. Am Ende fordert er sein Publikum in alter HipHop-Tradition auf, zu schreien. Doch keiner schreit – das ganze Pathos der Kunst, die ganze Hybris der ersten Welt in einem Bild. Marteria hat den Mut für einen solchen Moment der Schwäche. Weil er ohnehin schon alles bewiesen hat, als wahrscheinlich erfolgreichster und einflussreichster deutscher Hip-Hop-Musiker der letzten zehn Jahre. Und weil er weiß, dass es nun mal keine einfachen Lösungen gibt für all die Fragen, die diese scheinbar aus den Fugen geratende Welt beschäftigen. Es ist viel Dunkel und viel Licht in der schillernden Welt von “antiMARTERIA”, aber kein Schwarz und kein Weiß. Specter und Marteria bieten keine endgültigen Antworten an, nur Denkanstöße in Form kleiner Gleichnisse, wie Punchlines in einem guten Rap-Song.

Daneben lebt der Film vor allem von seinen Charakteren. Zu sehen sind gleich mehrere Granden des jungen deutschen Schauspiels wie Frederick Lau, Sascha Alexander Geršak, Trystan Pütter, Pit Bukowski oder Emilia Schüle, aber auch Figuren aus dem deutschen HipHop-Kosmos wie der Fotograf Paul Ripke, die Sängerin Miss Platnum oder Axel Lent, (einer der Macher des erfolgreichen YouTube-Kanals Aggro TV) in seiner ersten Rolle vor der Kamera: Mit Lau, der Marterias Manager mimt, liefert er sich ein umgehend legendäres Wortgefecht. Hinzu kommt Marteria, der sich selbst spielt und dabei, was deutlich schwieriger ist, er selbst bleibt. “Marten war ganz krass als Schauspieler”, so Specter über seinen prominenten Laiendarsteller. “Enorm fotogen, extrem diszipliniert, wahnsinnig einnehmend. Und das Wichtigste: Er hat sich darauf eingelassen. Wenn er nicht so performt hätte, wäre der ganze Rest obsolet geworden.”

Zwei Bilder bleiben besonders kleben von seiner Performance. Zum einen wie Marteria und Marsimoto einmal ihre Rollen und Orte tauschen und man urplötzlich die Verbindung zwischen diesen beiden Charakteren spürt, mit denen der Musiker Marten Laciny seit Jahren spielt. Zum anderen wie er am Ende des Films zum Song “Das Geld muss weg” mit einer Gruppe von Kids Bares verballert. Das Geld, das ultimative Insignium vermeintlicher Zivilisation, der Treibstoff der immer weiter fortschreitenden Ausbeutung unser aller Ressourcen wirkt plötzlich überholt, alt und falsch. Parallel posiert Marteria mit Ivory und Romana als Troika der Sieger in einer archaischen Landschaft, die sich gleichwohl wie die Zukunft anfühlt. Was ist Gestern und was ist Morgen? Was ist Hier und was ist Dort?

“Ich kann natürlich nicht in die Zukunft gucken und will mir nicht anmaßen, die Lösung zu wissen, aber dass es bald eine Lösung geben muss, um diesen Selbstmordprozess der Menschheit aufzuhalten, ist klar”, sagt Marteria. “Ich denke tatsächlich, dass eine Pangaeahafte Neuordnung – ohne Grenzen, ohne Geld, ohne diese willkürliche Schere zwischen Arm und Reich – die Lösung sein wird. Das alles macht die Menschen verrückt und auch unberechenbar. Dadurch entsteht Wahnsinn. Und dann kann man ja mal mit einem Film drauf rumspinnen. Das ist ja das Schöne: dass Film alles darf.”

“antiMARTERIA” darf es. Er erzählt das Jetzt als modernen Mythos und weist damit auf die schönste denkbare Weise in die Zukunft. Zum Glück in die Zukunft.