HENNY HERZ – Veröffentlicht Debüt-Album “Back Into Space”

Henny Herz_Back Into SpaceAls der Verfasser dieser Zeilen das Privileg hatte, diese feine Platte noch vor der Veröffentlichung anzuhören, vermerkte der zugehörige Mediaplayer ratlos „Genre: unbekannt“.

Genau so ist das nämlich gewollt. Henny Herz‘ führt einen friedlichen Kampf für die analoge Schönheit und gegen die digitalen Algorithmen der Genres, der Stile und Hörgewohnheiten. Weil man sich nämlich an das aufrichtige Anderssein nie gewöhnen sollte – und großes Songwriting auch mit ganz kleinem Reisegepäck auskommt.

Nicht, dass diese losgelöste Platte nie eine Festplatte gesehen hätte. Aber hier ist das Elektronische noch das Ausloten von Möglichkeiten, nicht das Runterbeten von Erfolgsrezepten. Deshalb darf auch mal die Drum-Machine vorbeischauen und in unruhigen Träumen die Handlung vorantreiben, wie im großartigen „Walls of Glass“. Und wo die feinen Arrangements die Räume besonders weit machen, da macht es viel Sinn, Hennys einzigartige Stimme unvermittelt zu schwebenden Chören zu schichten, um dem Hörer für Momente den Boden unter den Füßen wegzuziehen. So wird ein Song wie „Under the Milky Way“ zu einem atemberaubenden Wechselspiel, wie ein letzter Sommertag, der am Abend in den Herbst umbricht. Das alles ist aber nie verkünstelt, nie Automatenklang, sondern immer Musik, die nicht zuallererst geliebt werden, sondern erstmal selbst lieben will, weil da so unheimlich viel Leben ist, da draußen.

Henny Herz ist eine Entdeckung. Und wer sie für sich entdeckt, der verlässt besser die Gewohnheit, lässt gehörte Heimat hinter sich. Natürlich könnte man Orientierung suchen und Namen finden. Trisha Keenan von „Broadcast“ etwa oder die große Allison Goldfrapp, vielleicht Nora Jones – aber am Ende sind das alles nur plumpe Versuche der groben Verortung, Ariadnefäden, durch unbekanntes Terrain gezogen.

The new something? Stop spreading the news…

Viel besser: sich ganz und gar einlassen, auf dieses neue Land mit seinen atemberaubenden Höhenzügen und geheimnisvollen Tiefen, seiner leichten Schwerkraft. Henny Herz herrscht über ihren eigenen kleinen Kontinent, eine wilde Insel im Strom der Gleichförmigkeit, auf der sich jedes Klima der Seele findet, bewohnt von wundersamen, freundlichen Kreaturen, voller Rückzugsorte, aber auch voll offener Räume, umgeben von jeder Menge Horizont.

Henny Herz kling unfassbar neu und frisch und jung – und ist doch eine Wiedergängerin. Ganz offen referenziert Henny die Berliner Salon-Löwin Henriette Herz, die im ausgehenden 18. Jahrhundert im Auge des literarischen Sturms stand, der später zur Romantik verniedlicht werden sollte. Henriettes große Pionierleistung war es, Texten einen passenden Raum zu geben, um zu wachsen, so wie ein Bild seine grenzenlose Wirkung erst entfaltet, wenn es den passenden Rahmen gefunden hat.

Auch Henny hat für die Einspielung ihrer elf Stücke die je passenden Echokammern erst finden müssen. Man muss sich eben gründlich umschauen, um herauszufinden, wo genau das Herz am rechten Fleck ist. Ein halbes Jahr des Reisens ist in dieser Platte zusammengefasst, und die Vielfalt der Inspirationsräume, die Henny in dieser Zeit besucht hat, kann man deutlich hören. Und wie es sich gehört, für weltoffene Reisende, wird hier nicht nur in einer Sprache gesprochen. Englisch, Deutsch, Französisch – ein Esperanto dessen, was unbedingt gesagt werden muss, ganz ohne polyglotte Eitelkeit. Und wo vielleicht jemand anders schon die richtigen Worte und den richtigen Ton getroffen hat, da darf auch ganz uneitel interpretiert werden – Hennys Version von „Après Un Rêve“ des französischen Kammermusik-Komponisten Gabriel Fauré, die Abschlussnummer dieser großen Revue der Seelenzustände, zeigt, wie zeitlos Musik klingen kann, die alt genug wäre, um vergessen zu sein.

Und – wer genau hinhört, hört auch dies: Manchmal betrittst Du nicht Räume – sondern die Räume betreten Dich. Und dann wird aus betretenem Schweigen begehbare Schönheit, ohne Grenzen. Gut, dass uns Henny Herz bei der Hand nimmt, damit wir uns nicht in der Hörweite verlieren, und mit ihrer virtuos vielseitigen Stimme mal wispert und mal ruft, dass wir nicht allein sind.

„Ist es nicht seltsam, wie wir hier gelandet sind?“, fragt Henny Herz in „Landen“, diesem fragilen Wunder von einem Liebeslied, das wie ein einziges Ausatmen ist. Seltsam, ja, denn es ist schon seltsam, wie lange man fliegt, mit dieser Platte. Seltsam – und wunderbar.

Was fehlt? Ach ja. Dieses Album ist das erste Album von Henny Herz. Es heißt „Back Into Space“. Vielleicht ahnt Ihr schon, warum…

Text: Marco Böhlandt