Jahresrückblick 2020 – Kunst ist kein Hobby

Django3000_Sommerbühne im Stadion
Django3000 – “Sommerbühne im Stadion”

Mit 2020 endet ein Jahr voller Herausforderungen und Enttäuschungen, das viele Gewohnheiten auf den Kopf gestellt hat.

Den Beginn des neuen Jahrzehnts hätten sich Musiker*Innen und Publikum gleichermaßen sicherlich anders vorgestellt. Seit März jagt eine Konzertabsage die nächste, eine ganze Branche befindet sich nun seit fast einem Jahr im verordneten Berufsverbot.
Diese Zwangspause kostet Musikliebhaber*Innen nicht nur die Leidenschaft, sondern Abertausende Künstler*Innen ihre Existenz: Kunst ist nun mal kein Hobby.

So ist auch die Aussicht auf 2021 eher wolkig als heiter. Das Ausmaß an Labels, Musiker*Innen und Konzertbetrieben, die die Pause nicht überstehen, ist bisher nicht absehbar. Es bleibt zu befürchten, dass uns die Bandauflösungen und Schließungen 2021 verfolgen werden wie die Konzertabsagen 2020.

Still war es dennoch nicht in diesem Jahr. Viele Künstler*Innen wichen in den virtuellen Raum aus, um sichtbar zu bleiben. Musik zum Nulltarif und ein Like per Zoom statt tosendem Applaus kann allerdings nicht mehr als eine Notlösung sein.

Manch eine Band nutzte die freien Tage im ehemals ausgebuchten Tourkalender, um außerplanmäßig neue Musik zu produzieren. So geschehen zum Beispiel bei Annenmaykantereit. Abstandsregeln und Pandemiedepression beherrschen ihr neues Album „12“.

Doch es sind definitiv nicht die Corona-Reflexions-Alben, die gegen diese Zeiten anspielen können. Zu den musikalischen Highlights 2020 zählen „Tomorrow“ von Son Lux und „Imploding The Mirage“ von The Killers, zwei großartige Alben, deren Sound eben nicht im Pandemie-Kreisel gefangen ist.

Was ist eigentlich Kultur? Diese Frage hat man sich in diesem Jahr wohl das erste Mal so richtig gestellt im Angesicht dessen, dass sie nämlich plötzlich nicht mehr stattgefunden hat und es still wurde.
Ganz still? Nein, ganz und gar nicht, als sich nämlich Kulturschaffende im Frühjahr zusammengeschlossen und den Kulturrettungsschirm gegründet haben, ein Hilfsprogramm des Verbands für Popkultur in Bayern e.V.. Die Unterstützer*Innen dieses Projekts kommen aus allen Sparten des Kultursektors zusammen: Musik, Theater, Schauspiel, Veranstalter*Innen, Tanz, Agenturen, Regie, Booking, Labels, Veranstaltungstechnik, Kabarett, Marketing, um nur ein paar zu nennen. Erreicht werden konnte, dass Livekulturbühnen in einem Spielstättenprogramm bis zum 30.06.2021 unterstützt werden und der Freistaat Bayern die Grundkosten plus 100% der Personalkosten und einen fiktiven Unternehmerlohn i.H.v. 1.180 Euro pro Monat für die Clubbetreiber*Innen zahlt. Dieses Programm wird noch um ein Förderprogramm für dezentral agierende örtliche Agenturen ergänzt.

Anders sieht es für Soloselbstständige aus, für die immer noch keine gangbare, wirklich funktionierende Lösung gefunden wurde. Eine Schande, wenn man bedenkt, dass seit mehreren Monaten Stimmen laut geworden sind: Auf Demonstrationen der Initiative Alarmstufe Rot, einem Bündnis der einflussreichsten Initiativen und Verbände der deutschen Veranstaltungswirtschaft. Der deutschen Veranstaltungswirtschaft, welche den sechstgrößten Wirtschaftszweig Deutschlands markiert mit über 1 mio. Beschäftigten und 130 Mrd. Euro Umsatz. Die warmen Worte von Olaf Scholz und Peter Altmaier im März waren auch nur das: Warme Worte. Stattdessen sind Menschen, die vor dem Scherbenhaufen ihrer Karrieren standen und stehen, auf die Straßen gegangen und haben sichtbar gemacht, wie ernst die Lage ist: Im Mai bei ersten Kundgebungen, im Juni durch Studien wie die „RIFEL-Metastudie zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Veranstaltungsbranche“ und die Night of Light. Bei Mittwochsdemonstrationen und den Großdemos in Berlin und München und nicht zuletzt durch ein Aufmerksammachen in den sozialen Netzwerken und dem sehr treffenden Schlagwort „Ohne uns wird’s still“. Ja, ohne Kultur wird es ziemlich still und da stellt sich ganz unweigerlich die Frage, was noch passieren muss, damit etwas passiert. Wir blicken leider nicht ganz unbesorgt in dieses neue Jahr, wünschen aber allen Kulturschaffenden und Akteur*Innen umso mehr Mut, Zuversicht und dass nicht nur semigute Lösungen gefunden werden, wie irgendetwas gerade mal so gehen kann, sondern Perspektiven, auf die sich aufbauen lässt. Ja, was ist Kultur denn? Wikipedia sagt: „Die Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung.“ Kurz: Kultur darf nicht auf dem Abstellgleis landen oder wegrationalisiert werden durch eine Einteilung in „systemrelevant“ und „nicht systemrelevant“; gerade jetzt brauchen wir sie mehr als jemals zu vor, bringt sie Menschen doch auf ganz unterschiedliche Weisen zusammen und bietet Zuflucht, Halt und Perspektiven. Auf ein 2021, in dem es hoffentlich einen Frühling für die Kultur geben wird. (A.E., P.P.)