Als Perry Farrell vor 27 Jahren das Lollapalooza ins Leben rief, traten damals noch Acts wie die Avantgardisten und Farrell´s eigene Band Jane´s Addiction, Nine Inch Nails, Living Colour, Ice-T & Body Count und viele andere Bands der Post-Punk-Ära auf.
Mittlerweile stellt diese weltweite Veranstaltungsreihe weitaus mehr als ein reines Musikfestival dar und lebt nicht zuletzt von seinem kulturellen Anspruch, mit verschiedenen Märkten, einer Kids-World und dem unverkennbaren Steampunk-Charme. Im vierten Jahr gastierte die Entourage nun auch in Berlin, nachdem es während der beiden Vorgänger-Editionen aber eine dürftige Organisation in Sachen Infrastruktur und bargeldloses Bezahlen zu beklagen gab, wechselte man erneut die Location. 2015 war noch das Flughafengelände in Tempelhof, 2017 eine Reitsportanlage im tiefsten, Berliner Osten und heuer das Olympiastadion Austragungsort.
Auch wenn das Lineup eher durchwachsen war, konnte das Umfeld in diesem Jahr durch eine reibungslose Organisation und ein liebevoll angelegtes Festival-Gelände überzeugen. Bei bestem Wetter eröffneten die Wahlberliner Gurr den Nachmittag auf der Alternative Stage. Waren sie kurz zuvor noch bei einem sehr authentischen Line-Check auf der Bühne zu beobachten, hüpften und flachsten die beiden Frontfrauen Andreya Casablanca und Laura Lee keine zehn Minuten später wieselflink auf der Bühne umher. Eine Menge spaßiger Anmoderationen und Sticheleien in Richtung Liam Gallagher und David Guetta (beide Acts ebenfalls im aktuellen Billing vertreten) sorgten ebenso für Abwechslung im teilweise abgedroschenen Festival-Alltag, wie die spritzigen Songs. Wer hat eigentlich behauptet, dass Mädels-Bands nicht cool seien? Da können sich so manche Herren der Schöpfung eine gehörige Portion Leidenschaft abschneiden.
Viele große Highlights waren auf der kleinsten Bühne im Weingarten zu sehen. Laura Carbone mit anrüchigem Sixties-Garagenrock oder auch die Hamburger Band Helgen, mit einem sehr sympathischen Auftritt. Der Berliner Kneipenchor erntete mit seinen Klamauk-Covers indes den größten Publikumszuspruch. Den Spätnachmittag leitete Casper ein und sorgte zusammen mit Gast Marteria für ausgezeichnete Stimmung. So voll wie in diesem Moment war der Zuschauerraum heute nicht noch einmal. Mit Genuss wurden abertausende Mittelfinger zum Gruß an alle Rassisten in die Berliner Luft gestreckt.
Ein bewegendes und gewohnt tiefgründiges, letztes Europakonzert gaben im Anschluss die heimlichen Headliner The National. Matt Berninger bestach durch, für ihn, auffällig gute Laune und Songs wie „Nobody Else Will Be There“, „Bloodbuzz Ohio“ oder „Carin At The Liquor Store“ gingen runter wie Öl. Inszeniert wurde die Performance anhand einer dramatischen Lightshow. Während die Zwillingsbrüder Aaron und Bryce Dessner jeweils zwischen Gitarre und Piano wechselten, hüpfte Berninger von der Bühne und wanderte zwischen den verblüfften Zuschauern umher. Wirkte die Band vor gut einem halben Jahr während des Konzerts beim Lollapalooza in Santiago de Chile eher gereizt, bestach sie heute durch mitreißende Spielfreude. Sollten sich die Gerüchte bewahrheiten und dies die Abschiedstour von The National sein, wird eine der aktuell besten Indie-Rock-Bands die große Bühne verlassen.
Später spielten Von Wegen Lisbeth und The Wombats bierselige Abschlussgigs auf der Alternastage. Während der Zuschauerraum hier völlig überfüllt war, schien sich das Interesse der Festivalbesucher an den DJ-Sets im Inneren des Olympiastadions in Grenzen zu halten.
Für die kommenden Jahre darf sich das Booking-Komitee gerne wieder etwas mehr auf die Wurzeln dieses Festivals besinnen. Einem zu breiten Genre-Angebot kann man auf die Dauer nur schwer etwas abgewinnen. Was leider etwas fehlte, war dieses Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Festivalbesuchern, die auch während dem verheerendsten Wolkenbruch Seite an Seite im knöcheltiefen Schlamm stehen. Zu unterschiedlich waren die Geschmäcker, zu groß der Altersunterschied.(ODI)