Von Rittern, Hip Hop und der Geschlechterfrage
Gemeinhin bekannt ist, dass mittlerweile nur noch die Altvorderen davon berichten können, dass Open Air Festivals einst im starken Griff der Rockmusik gefangen waren. Immer mehr Veranstaltungen dieser Riege bieten aber Elektronica-Acts und Hip Hop-Crews eine Plattform und sorgen damit für eine Artenvielfalt der Musik. Auch das Puls Open Air macht hier keine Ausnahme und man kann reinen Gewissens behaupten, dass das alljährliche Event zu Schloss Kaltenberg alles andere als ein Heimspiel für hemdsärmelige, breitbeinige Rockposer darstellt. So unterhielten am Samstag tagsüber fast ausschließlich mehr oder minder talentierte Sprechgesang- und Reimkünstler das stetig anwachsende Publikum vor der Mainstage (Kugelbühne), wobei Eunique beispielsweise mit gekonnt wuchtigem Wortschatz und einer Springballenergie begeistern konnte, während Kakkmaddafakka-Mann Pish aufgrund fehlenden Gesangstalents nicht jedem angenehm auffiel.
Reizvoll waren auch die Gigs auf der kleinen Waldbühne, welche sich allesamt einem sehr großen Zuspruch unter den meist jungen Festivalbesuchern erfreuten und somit eine dicht gedrängte Kulisse boten, was wiederum eine sehr vorteilhafte Energie in der Interaktion mit den auftretenden Künstlern und dem Publikum erzeugte. L´Imperatice beispielsweise, dürften sich auch Stunden nach ihrem Auftritt noch beschwingt aus den Bühnenoveralls geschält haben und die Anfeuerungsrufe „Merci, beaucoup, L´Imperatice“ nicht vergessen haben.
Die Pyramidenbühne, sozusagen die 2nd Stage, bot mehr handgemachte Band-Musik und so sorgten beispielsweise die Stuttgarter Rikas für einen mehr als vorantreibenden und launigen Nachmittag. Selbst betiteln sich die vier ja nicht umsonst als „Tanzgruppe“ und so wanderte einiges an Rhythmus direkt vom Gehörgang aus in die Beine der jubelnden Fans. Sehr sympathischer Auftritt der Indie-Popper.
Später dann gönnten sich leider viel zu wenige Besucher das Set von Dream Wife. Hierbei handelt es sich um eine vierköpfige LoFi-Punk-Schrammel-Whatever-Band, welche gestenreich zum Boykott des Genderwahnsinns aufrief, weil es doch eigentlich vollkommen egal ist, welches Geschlecht welche Musik hört oder macht. Jawoll. Diese Fuck You-Attitüde kam gut rüber und ist von Genremittäterinnen wie Gurr oder The Coathangers bekannt. Auch den Puls-Veranstaltern muss die Performance am Herzen gelegen haben, denn ganz bewusst hatte man ein Augenmerk auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis bei den gebuchten Künstlern gelegt. Das Diskussionen hierüber eigentlich total überflüssig sein sollten (aber eben nicht sind), haben Dream Wife mit einem dicken Neonmarker noch einmal angeleuchtet.
Frontfrau Rakel Mjöll jedenfalls erzeugte kreischende Misstöne und ließ laszive Blicke umherschweifen, welche man seit der jungen Debbie Harry schmerzlich vermisst hat. Während Bassistin Bella Podpadec wie das lustige Sprinkie zu dem einstündigen Set ungefähr 20 Kilometer zurückgelegt haben könnte, hatte Gitarristin Alice Go zum Ende der Show hin mit einem kaputten Kabel zu kämpfen, überspielte ihren Ärger über ihr immer wieder ausfallendes Instrument aber sehr professionell. Während all dem Lärm und Gezeter und Verrücktsein, verblasste ein namenloser Schlagzeuger hinter seinem Instrument.
Am Abend platzte die Arena vor der Kugelbühne dann beinah aus allen Nähten, als sich die Ghetto-G´stanzler um Dicht & Ergreifend einen Weg in die Herzen tausender Fans rappten. Energie pur ohne Verschnaufpause und mit vielen Gimmicks angereichert. Zwar ist das Rad nicht neu erfunden worden, als George Urquell und Lef Dutti anfingen, im Lokalkolorit auf boarisch zu texten. Und auch Blasmusik feierte schon vor ein paar Jahren ein Revival auch für ein Publikum jenseits der 30er. Dennoch ist die Mischung aus klugen Texten, „g´schert bläd daherreden“ und abwechslungsreichen Samples und Cuts einfach brillant. So wurden neben diversen Moshpits auch Crowdsurfing-Duelle auf Gummitieren veranstaltet. Ausgelassen wussten Dich & Ergreifend diesen denkwürdigen Abend zu feiern und sprachen selbst vom „geilsten Konzert des Jahres“.
Mit Annemaykantereit, den Blood Red Shoes, Leoniden, Giant Rooks oder Alli Neumann hatte das Festivalkomitee weitere erstklassige Acts gebucht und somit ging ein tolles, viertes Puls Open Air mit knapp 12.000 Besuchern zu Ende.(ODI)