Von Brücken im Interview – Fertig heißt nicht, perfekt zu sein

Im Interview erzählen Nicholas Müller und Tobias Schmitz von ihrem Debütalbum „Weit weg von fertig“ und darüber, welche Bedeutung der Titel des Albums hat, wie wichtig es ist, sich für Menschlichkeit auszusprechen.

Der Titel eures Albums ist auf sehr vielen Ebenen sehr weit interpretierbar. Was ist eure persönliche Definition von „Fertig“?

Nicholas Müller: Das ist rückwärts gefragt, ne? Ausgehend von den Fragen, die wir sonst zum Album und zum Titel gestellt bekommen, ist das tatsächlich eine Rückwärtsfrage. Meine Definition von „Fertig“ ist, wenn es um das Musikalische geht, „Nie“. Was das Menschliche und das Leben als solches angeht, bin ich eher Pragmatiker und fände es gar nicht schlecht zu sagen, dass etwas fertig ist, wenn man das Leben als Konstrukt wahrnimmt. Wenn ich sagen kann, dass ich in meinem Leben das erreicht habe, was ich wollte, habe ich aber dennoch Nebenbaustellen, die nicht unabdingbar mit dem Leben zu tun haben. Da möchte ich nicht fertig werden, das wäre ein bisschen traurig.

Ihr hört auch nie auf, Träume zu haben?

Nicholas Müller: Das sowieso nicht!

Tobias Schmitz: Ich glaube, es gibt immer etwas zu tun, irgendetwas irgendwo, wo man noch nicht gewesen ist. Ansonsten ist es schön, auch einfach mal zufrieden zu sein und Dinge sein zu lassen, auch, wenn sie unperfekt sind.

Ihr setzt „Fertig“ nicht mit Perfektionismus gleich?

Nicholas Müller: Nein, auf keinen Fall. Perfekt und fertig ist tatsächlich nicht immer das Gleiche. Es kommt natürlich auf die Definition von perfekt an, aber auf dem Album sind einige Songs, die nicht zu hundert Prozent perfekt sind. Eigentlich ist keiner der Songs so, dass jeder Ton stimmt und alles glatt gezogen ist. Das ist Teil der Methode, da sonst auch Leben flöten geht.

Tobias Schmitz: Wenn man den perfekten Song geschrieben hätte, könnte man aufhören.

Nicholas Müller: Man kann den perfekten Song schreiben, aber man muss ihn dann unperfekt aufnehmen, weil er sonst stirbt – das kann man ja sonst auf der Bühne nicht wieder herstellen.

Wann ist für euch ein Song fertig gestellt?

 Nicholas Müller: Wenn Tobi endgültig vor Schlafentzug überhaupt nicht mehr denken kann.

Tobias Schmitz: Wenn unser Produzent sagt: „Nein, wir nehmen jetzt auf keinen Fall noch eine weitere Spur auf, ich weiß schon nicht mehr, wie ich damit arbeiten soll“ – dann ist der Song fertig.

Es laufen momentan unglaublich viele politische Debatten. Die AfD sagt, dass es ihre Pflicht ist, den „positiven Bezug zur eigenen Heimat zu fördern – eben auch durch Kunst und dass durch die Werke die Identifikation zu Deutschland angeregt werden soll“. So ähnlich wurde das vor vielen Jahren schon einmal formuliert. Neulich haben die Donots gesagt, dass es wichtig ist, dass sich Musiker mit großer Reichweite dazu äußern sollen. Wie steht ihr dazu?

Nicholas Müller: Oh, Jesus Christus. Ich sage mal etwas zur Meldepflicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass wenn man ein derartiges Privileg lebt, die Pflicht hat, etwas zu sagen. Nehmen wir als aktuelles Beispiel Helene Fischer. Ich glaube, dass sie nicht der allergrößte Fan ihrer eigenen Musik ist, macht diese aber auch nicht fürchterlich ungern. Sie leidet nicht darunter. Egal, welche Stilrichtung oder welchen Personenkreis man mit Musik anspricht: Man hat immer die Pflicht, auch wenn man Partytexte oder Herzgeschwurbel macht, dieses Organ, das man selbst ist, dahingehend zu nutzen, die Welt ein bisschen besser hinzukriegen. Das geht mit diesem Privileg einher und steht quasi in der Stellenausschreibung. Man kann nicht hingehen und sagen „Natürlich verdien ich Millionen damit, aber das heißt noch lange nicht, dass ich’s Maul aufmachen muss.“ Doch, musst du! Überlass die explizite Politik denen, die sich damit auskennen, aber sprich dich für die Menschlichkeit aus. Guck sie dir alle an, die gerade im Radio rauf-und runtergejubelt werden – da lasse ich auch einen Bourani und Joris nicht aus – macht doch das Maul auf. Euch hören die Leute zu und schiebt es nicht den anderen zu. Ich bin da hundert pronzentig d’accord mit Ingo von den Donots. Es muss kein politisches Statement sein, sondern ein Statement für die Menschen. Die Frage ist, lassen wir Menschen verrecken oder helfen wir denen? Hat das etwas mit Politik zu tun? Nein, das ist Menschenpflicht. Es geht nämlich um Menschlichkeit.

Tobias Schmitz: Bezeichnend finde ich, dass die gleichen Leute, die schreien, ihre Meinungsfreiheit würde eingeschränkt, genau die sind, die immer mehr fordern. Ich empfinde das gar nicht so, dass hier etwas nicht gesagt werden darf. In den Talkshows wird nur darüber gesprochen. Man darf natürlich nicht erwarten, dass dann losgejubelt wird. Kunst stirbt auf jeden Fall, wenn man ihr Grenzen setzt und das hatten wir ja leider schonmal.

Nicholas Müller: Man darf eben auch Meinungsfreiheit nicht mit Meinungsgleichheit verwechseln.

In ihrer Dummdreistigkeit können sie ja auf die Straße gehen und sich benehmen wie die NSDAP, aber müssen dann auch damit rechnen, dass sie als komplette Arschkrampen wahrgenommen werden.

Welche Literatur und welche Filme haben euch am meisten in Bezug auf euer musikalisches Schaffen geprägt?

Nicholas Müller: Das ist ein ständiges Prägen. Bei Filmen weiß ich es gar nicht. Mein Lieblingsfilm wird immer „The Goonies“ bleiben – ein Kinderfilm, aber diesen Teil werde ich immer in mir bewahren. Der findet sich bestimmt auch in der Musik wieder. Was Literatur angeht, ist es konkreter. Da ist es oft das, was ich gerade lese. Das ist meistens Chuck Palahniuk, den mag ich sehr. Hesse zum Beispiel habe ich durch. Es gibt viele tolle Popliteraten, die auch einen Hesse-Status innehaben, aber das ist wie, wenn ein Lemmy Kilmister stirbt – ab da gibt es offiziell keine Rockstars mehr. Oder wie mit David Bowie, wo dann die Popstars verschwunden sind. So ist es in der Literatur auch.

Tobias Schmitz: Für mich ist David Lynch ein großer Einfluss – auch musikalisch. Seine Filme sind sehr mit der Musik verknüpft, aber ich mag die Denkart, dass nicht alles erklärt werden muss, sondern auch für sich alleine stehen kann. Es reicht, eine gute Stimmung zu erzeugen. J.J. Abrams mag ich auch sehr gerne. Es gibt tolle Interviews, in denen er erklärt, dass er als Kind eine Magic Box geschenkt bekommen hat. Da sind verschiedene Sachen drin und er hat die nicht geöffnet und wusste also auch nie, was drin ist. Für ihn war es viel spannender, sich vorzustellen, was drin sein könnte, als es dann tatsächlich zu wissen. Diesen Gedanke finde ich schön.

Was für ein Song würde entstehen, wenn ihr beide die Rollen tauschen würdet?

Nicholas Müller: Es wäre textseitig auf jeden Fall besser als musikalisch.

Tobias Schmitz: Das weiß ich nicht. Ich glaube, da würde auch etwas rauskommen… Tja, was würde da rauskommen? Wenn ich einen Text schreibe, wird der eher so Schülergedicht-mäßig. Mir fehlt auch ein bisschen das Know-How.

Nicholas Müller: Deine Lyrik geht tatsächlich mehr in Richtung Gedicht als Text. Ich bin ein katastrophaler Instrumentalist. Musiktheorie gleich null, ich kann dir gerade so einen Dreiviertel- oder Vierviertel-Takt zählen.

Wenn man betrachtet, wie viele Jahre da auch vergangen sind und die Musik den Texten gegenüberstellt, dann ist klar, dass die Aufteilung schon völlig richtig ist. Ich liebe Musik, kann sie aber nicht herstellen.

Der österreichische Liedermacher Hubert von Goisern hat gesagt: „Musik ist eine Sprache, in der man nicht lügen kann.“ Wie bewertet ihr diese Aussage?

Nicholas Müller: Auch, wenn ich Hubert von Goisern sehr schätze, stimme ich dem nicht zu. In der Musik kann man wie gedruckt lügen. Es kommt auf die Cleverness des Hörenden an, den Musiker zu entlarven. Man muss nur das Radio anmachen und wird am laufenden Band verarscht. Was ist eigentlich mit den Leuten, die wirkliche eine richtig laute Stimme haben? Die lügen leider oft wie gedruckt. Dass immer alles geil gefunden wird, alles muss ständig gefeiert werden. Das ist totaler Bullshit und stimmt einfach nicht. Wir haben den tanzbarsten Song der Platte als Single veröffentlicht und da heißt es „Wir tanzen im Weltuntergang“, was der Wahrheit schon viel eher entspricht. Das wird nicht gespielt, weil es negativ konnotiert ist. Soviel zum Thema, dass man in der Musik nicht lügen kann. Es gibt einen Markt, der nur auf diesem Theorem des geilen Lebens beruht – das ist das, was in Pop und Schlager abdriftet.

Wie ist das Gefühl, vor neuem, aber auch altem Publikum zu spielen?

Nicholas Müller: Es hat sich bei den Shows herausgestellt, dass es den Leuten gefällt. Dadurch, dass am Anfang wenig getanzt wurde, war es so, dass man echt ein bisschen wie ein Schwein ins Uhrwerk geguckt hat und gespannt war, was nach den Songs kam. Dann war es immer dermaßen laut, dass ich die Stöpsel rausgetan habe. Es kommt nur positives Feedback. Das ist sehr schön und auch super, das von neuem Publikum zu erfahren. Natürlich kommen alte Jupiter Jones-Fans, die das aber auch hinbekommen. Wir werden als autarke Band wahrgenommen und nicht als „die Band des ehemaligen Sängers  und ehemaligen Keyboarders von Jupiter Jones“. Ich bin meiner Zeit bei Jupiter Jones sehr dankbar, aber ich bin noch dankbarer, dass wir jetzt Von Brücken sind.

Tobias Schmitz: Für mich ist es auch eine ganz neue Rolle, weil es meine Songs sind, die wir spielen. Insofern ist es toll, dass der Applaus an der Stelle auch für mich ist und man stolz darauf ist, dass es den Leuten gefällt. Bisher hat auch keiner gesagt, dass es schade war, dass wir keine Jupiter Jones-Songs gespielt haben, obwohl wir damit von Anfang an gerechnet haben.

Was steht für die kommenden Monate an?

Tobias Schmitz: Neue Sachen schreiben.

Nicholas Müller: Neues Album muss her. Lose haben wir für Januar das Studio gebucht.

Tobias: Mh-mh. Sportlich, aber wir werden das schaffen.

(A.E.)