Laut eigener Aussage sind die beiden Gründer der Münchner Balkan-Rock-Pop-Whatever-Band Rüdiger Sinn und Zlatko Pasalic beste Freunde, die sich jeden Tag sehen und gemeinsam an Songs arbeiten. Wir haben mit den beiden über ihr Debutalbum „Atomic Bombs & Pirouettes“, die lange Bandgeschichte und die Beatles gesprochen.
Rüdiger, ich zitiere dich mal: „Wir sind stets auf der Suche nach der perfekten Melodie.“ Aus einem Song die bestmögliche Qualität herauszuholen, bedeutet Euch also sehr viel. Andererseits seid ihr für eure energiegeladene, empathische, Spaß machende Bühnenpräsenz bekannt. Sind hochkomplexe Kompositionen aber nicht viel schwieriger auf die Bühne zu bekommen? Oder lassen sich beide Dinge gut mit einander verbinden?
Rüdiger: Die entscheidende Vorarbeit an einem guten Lied passiert ja schon vor dem Studio. Ich mag diese Situationen, wenn man merkt, dass ein Song auch gut mit den Mitmusikern funktioniert. Im Studio sollte man ja fast schon erwarten können, dass das Ergebnis mindestens passabel klingt..
Zlatko: Wir setzen auch nicht jeden Song live um. Nicht jeder funktioniert dann so gut, wie er im Studio klingt. Manchmal passieren aber auch Überraschungen und ein Stück nimmt eine unerwartete Richtung, sobald weitere Instrumente wie Schlagzeug und Bass dazu kommen.
Stimmt es, dass ihr ein geheimes Album aufgenommen habt, welches nie veröffentlich wurde?
Rüdiger: Zwei (lacht!). Das erste haben wir weggeräumt, weil uns die Qualität der Songs nicht mehr gefallen hat. Das zweite haben wir aufgeschoben, weil wir so lange daran gearbeitet haben, dass wir jetzt einfach noch einmal etwas Frisches auskoppeln wollten. Auf „Atomic Bombs & Pirouettes“ befinden sich fast ausschließlich Songs, die im Sommer und Herbst 2017 entstanden sind. Außer „Whiskey Sour“, der ist schon älter. Insofern waren es alles unmittelbare Songs, die wir gerade erst geschrieben hatten.
Zlatko: Und das war uns auch sehr wichtig. Auf dem (unveröffentlichten – Anm. d. Red.) Vorgängeralbum, welches dann vielleicht noch später rauskommen wird, haben wir so lange getüftelt und immer wieder neu aufgenommen, dass wir das Gefühl hatten, es waren zu viele Gedanken darin und zu wenige spontane Impulse. Jetzt haben wir es anders gemacht. Sehr rough und aus dem Moment heraus.
Also ist das Live-Erlebnis doch ein sehr wichtiger Bestandteil der Stray Colors…
Rüdiger: Das Live-Erlebnis ist sogar das Aller-allerwichtigste! Darum machen wir das Ganze, klar. Aber sagen wir es so: Es gibt natürlich den Moment des Erschaffens, der ist sehr wichtig. Diese Lieder, zu denen man steht, dann vor Publikum zu spielen, ist aber genauso wichtig. Und eine dritte Sache ist es, wenn sich Leute das Material dann auf dem fertigen Album zu Hause anhören. Diese Sache ist da und sie ist wichtig. Es bringt uns natürlich weiter, wenn viele Leute unser Album kaufen. Aber die direktesten und ehrlichsten Stray Colors erlebt man schon auf der Bühne.
Ihr seid ja schon seit vielen Jahren aus der Münchner Szene nicht mehr wegzudenken. Ihr wart unter anderem schon im Jahr 2012 Band des Jahres in der Süddeutschen Zeitung. Euer erstes Album habt ihr aber erst 2018 veröffentlicht. Kann man sagen, die Stray Colors sind jetzt, nach sechs langen Jahren der Reise, endgültig angekommen?
Zlatko: Es fühlt sich auf jeden Fall wie ein frischer Wind an. Man hat sehr lange darauf hingearbeitet, etwas präsentieren zu können. Dabei ist natürlich sehr viel passiert, aber wir hatten nichts Konkretes wie zum Beispiel eine CD vorzuweisen. Etwas, das man in der Hand halten konnte. Das ist jetzt unser erstes richtiges Statement. Wir haben Songs gemacht, die den Leuten auf Platte und auch live gefallen. Und das fühlt sich natürlich gut an.
Rüdiger: Vor allem haben wir seit langer Zeit wieder eine Band gefunden, mit der es wirklich Spaß macht, auf die Bühne zu gehen. Wir haben ewig gesucht, mit tollen Leuten zusammengearbeitet. Schlussendlich standen aber meist die sogenannten „künstlerischen Differenzen“ im Weg. Aber jetzt haben wir wirklich ein paar Jungs an Bord, die einfach richtig Bock haben. Die genauso motiviert sind, wie Zlatko und ich. Schoko ist vor zwei Jahren mit seiner Trompete eingestiegen und es war schon fast ein Paradigmenwechsel. Auf einmal war dann wieder so eine Euphorie da. Und dann kam der Nathan, der eh immer lachend an den Drums sitzt und die ganze Band mit seiner positiven Art ansteckt. Und davon hat sich natürlich auch der Chris (Buchberger, unter anderem Bassist bei Password Monkey – Anm. d. Red.) einfangen lassen. Und ich finde, man hört das auf dem Album.
Ihr vermittelt von jeher, gerade auf der Bühne, das Thema Rock´n´Roll als Lebenseinstellung. Wenn man aber eure früheren Veröffentlichungen auf eurer EP „Stray Colors“ hört, hat sich die Textur der Songs dahingehend auch sehr verändert. Liegt das ein Stück weit an wuren neuen, vielleicht endgültigen Bandmitgliedern? Oder gab es einen Plan?
Rüdiger: Nein. Einen Plan hat es nicht gegeben. Für uns war es eine natürliche Entwicklung, die sechs Jahre gediehen ist. Wir haben mittlerweile wirklich viele Songs geschrieben – ungefähr 150 – und dabei haben wir natürlich viel gelernt… wer wir sind oder was wir tatsächlich machen wollen. Und ich glaube, gerade jetzt machen wir das, was wir auch immer machen wollten. Es gibt zarte Momente noch genauso wie früher, vielleicht sogar noch intensiver, weil sie von einer Explosion umrahmt sind.
Auf „Atomic Bombs & Pirouettes“ befindet sich auch euer derzeit vielleicht energiegeladenste Live-Song „No Use For Rock´n´Roll“. Der Titel ist aber leicht irreführend. Könnt ihr etwas dazu sagen?
Zlatko (lacht): Das kam hauptsächlich dadurch, weil ich vor zwei Jahren selbst das Booking in die Hand genommen habe. Weil ich zu dieser Zeit noch keine Erfahrung auf diesem Gebiet hatte, habe ich ganz einfach gesagt: „Hey wir sind eine Band, wir wollen gerne bei Euch spielen“. Dadurch erhielten wir natürlich auch einige Absagen. Dabei kam mir die Idee für den Chorus: „Thank you for your interest, but we don´t really have any use for Rock´n´Roll“. Eine tiefere, gesellschaftskritische Botschaft ist aber nicht enthalten.
Rüdiger: Aber das macht den Song ja aus. Diese Paradoxie, dass die Leute genau auf diesen Track am meisten abgehen.
Noch eine letzte Frage. Parallelen zu den Beatles bleiben ein unüberhörbares Element in den Stücken der Stray Colors… John oder Paul?
Rüdiger: Beide John, würde ich sagen. Aber offiziell sage ich immer: In Wirklichkeit bin ich John und Zlatko ist Paul. Aber wahrscheinlich müssen wir uns darauf einigen, beide John zu sein (lacht).
Zlatko: Beim Komponieren sind wir beide wohl tatsächlich John. Gesanglich gebe ich Rüdiger aber Recht. Wir lieben aber auch Paul, das zu erwähnen ist mir sehr wichtig (lacht)! (ODI)