ACHTUNG! Ich bin absolut nicht dazu in der Lage, diesen Artikel objektiv und gattungstheoretisch korrekt zu verfassen. Sollte Ihnen das aus fachlicher Sicht missfallen, seien Sie hiermit dazu angehalten, sich eine stilistisch differierende Konzertkritik zu Gemüte zu führen. Alle anderen, liberaleren und vielleicht medizinaffinen Musikliebhaber bitte ich mit der Zuhilfenahme des folgenden Artikels um die Beantwortung einer sich mir seit Mittwochabend aufdrängenden Frage: Bin ich etwa schockverliebt?
George Ezra Barnett alias George Ezra kannte ich bisher nur als Lala-Liedermacher aus dem Radio – eher Two-Hit-Wonder denn musikalisches Faszinosum. Dann gehe ich zu diesem Konzert und das erste, was ich darüber erfahre, ist, dass er seinem jüngeren Bruder Ten Tonnes alias Ethan Barnett (erst durch gründliche Recherche erkennt der Laie die Familienbande) die Ehre erweist, als sein Support-Act auftreten zu dürfen. Was für eine rührselige Geste, in der für jeglichen Neid unter Geschwistern gar kein Platz ist. Sympathievorschuss und –überschuss für George…bereits hier hätte ich die ersten Symptome meiner beginnenden Pathologie erkennen müssen.
Dann tritt da dieser zuckersüße, schmächtige und anhand seines Rollkragenpullovers unverkennbare Brite auf die Bühne. Das Publikum muss gewusst haben, wen es da vor sich hat, denn eine Ähnlichkeit lässt sich zwischen dem brünetten Ten und dem blonden George nun wirklich nicht erkennen – so sehr ich es auch sehen wollte. Hiermit gebe ich auch den Zuschauern die Schuld an meiner Gefühlsduselei! Wie kann man jemandem nur so wohlwollend, unterstützend und liebevoll zujubeln, für den man – seien wir ehrlich – eigentlich nicht zum Konzert gekommen ist?! Deshalb an dieser Stelle: Prädikat „wertvoll“ auf die Schulter eines jeden einzelnen Zuschauers. Ten Tonnes ist wirklich bemüht und mit Spaß bei der Sache und überzeugt mit seinem eigenen, noch etwas undifferenzierten Musikstil, der gar nicht erst versucht, seinem berühmten Bruder nachzueifern. Gießt man das Ten-Pflänzchen, kann noch ein großer Baum daraus werden…
Endlich, allerdings wusste ich da noch gar nicht, dass ich auf ihn gewartet hatte, läuft George im Dunklen auf die Bühne. Ich habe die Vokabel „betreten“ bewusst nicht eingesetzt, denn das würde diesem Auftritt die Bodenhaftung entreißen. Es ist ihm deutlich anzumerken, wie gern er seine Lieder vor Publikum spielt und man bekommt das Gefühl, dass er seine Zuhörer ehrlich individuell behandelt (ich sage nur „How are you, Munich?“). George erzählt die Entstehungsgeschichte zum Song Barcelona, als er die glorreiche Idee hatte, sich für ein Konzert in der zweitgrößten Stadt Spaniens eine private Unterkunft zu suchen, statt sich in einem seelenlosen Hotel einzumieten und seine Entscheidung dazu noch im Flugzeug bereute. Ein Mädchen der WG, in der er dann also wohnen durfte, hieß übrigens Tamara…Wie ruhig, anschaulich und nahbar er aus seinem Leben erzählt, verursacht im Zuschauer, ihn auf der Stelle knuddeln zu wollen. Nicht auf eine dusselig-lächerliche Art, denn wenn er dann wieder zum Singen ansetzt, ist er sehr ernst bei der Sache und berührt auf seine ganz eigene, schwer in Worte zu fassende Weise etwas im Innersten des Zuhörers. Wenn er spricht, hört man wortlos ihm zu, wenn er über sich selbst schmunzelt, grinst man wie ferngesteuert mit. Über seinen Auftritt habe ich eigentlich nicht viel zu sagen: gesanglich und musikalisch in bedingungsloser Reinform.
George Ezra steht dort auf der Bühne, ist einfach unverschämt sympathisch und zu allem Überfluss auch noch wahnsinnig talentiert. Er wirkt so erfrischend unangepasst (übrigens auch optisch), als wäre er aus einer anderen Zeit auf diese Bühne gefallen. Und damit meine ich nicht das übliche Hipster-Gebärden, sondern eine echte und aufrechte Authentizität, die ich in dieser Form bisher selten sehen durfte. All das ermöglicht es ihm, in Zeiten, die schon irgendwie alles beinhalten und nur in Dauerschleife spielen, wirklich noch eigene Musik zu machen. Ein Kritiker bezeichnete seinen Stil passend und sehr liebevoll als kindlichen Eskapismus. Das spüre ich, das spüren die anderen Zuschauer…Mittwochnacht hatte ich dann einen Traum: George und ich werden die allerbesten Freunde. Also liebe Leser, bin ich denn nun schockverliebt? Wenn ja, will ich gar nicht geheilt werden.
Für alle neugierig Gewordenen: Der Auftritt in der Tonhalle München war im Übrigen nicht mehr als ein kurzer Zwischenstopp auf dem Weg nach ganz oben. Im Mai 2019 tritt er in der Olympiahalle auf.(S.N.)