Wer kennt diese wichtigen Fragen des Lebens nicht? Rot oder Blau? Semmel oder Brötchen? Beatles oder Rolling Stones? Slayer oder Metallica? Die Antworten haben mit individueller Vorliebe nichts gemein. Hier geht es um Glaube und um Religion. Die Kirche des Heavy Metal geriet in ihren Grundmauern ins Wanken, als Slayer die Termine für ihre Abschiedstour bekanntgaben.
Eine vorzügliche Entourage aus vier Bands hatte man im Programm; beginnen sollte der Abend mit den US-Death Metallern von Obituary. Unter Zuhilfenahme des Englisch-Wörterbuches lässt sich der Bandname übrigens mit „Todesanzeige“ ins Deutsche übersetzen. Das ist aber das einzige genretypische Klischee, welches die fünf Herren bedienen. John Tardy galt schon früh als DER Sänger der Szene. Seine geisteskranken Schreie gehen durch Mark und Bein. Er kommt hierbei völlig ohne Grunztöne und (bei früheren Songs) auch ohne Songtexte aus. Ansonsten wurde die Performance getragen von meterlangen Haaren, welche wie Propeller herumgewirbelt wurden. Für Fans bot die halbe Stunde Stagetime viele Highlights: „Redneck Stomp“, „Slowly We Rot“, „Straight To Hell“. Brutaler Anfang.
Die Skate-Punk-Thrasher Anthrax waren als nächstes an der Reihe. Das Bühnenbild offenbarte ein überdimensionales Backdrop und sonstige Aufsteller. Es hätte auch bereits der Headliner sein können. Mit „Caught In A Mosh“, „Got The Time“, „I Am The Law“, „Be All, End All“, „Antisocial“ und zum Ende „Indians“ hauten die Mannen um Scott Ian und Charly Benante ein absolutes Best-Of-Set mit allen Evergreens der Band raus. Die Halle wurde zusehends voll und es wurde fleißig mitgegrölt.
Dass Lamb Of God im Anschluss dann den Co-Headliner-Posten zugewiesen bekommen hatten, ließ sich für viele im Saal nicht nachvollziehen. Denn auch, wenn die Combo seit Anfang der 90er schon als „Burn The Priest“ fungierte, gehörte sie nie zu den einflussreichen „Old School-Acts“. Schlagzeilen machte Sänger Randy Blythe dadurch, als er 2010 einen Fan von der Bühne schubste, welcher nach wochenlangem Koma verstarb. Nichtsdestotrotz war die Stimmung mittlerweile überragend, auch wenn sich stetig ein dunkler, bedrohlicher Schatten über die Olympiahalle legte.
Dieser Schatten rollte mit finsterer Gewalt heran und ließ keinen Tupfen Farbe zurück. Zum Intro „Delusions Of Saviour“, welches auch den Beginn des aktuellen und letzten Slayer-Albums „Repentless“ markiert, wurden vier riesige Kreuze auf einen schwarzen Vorhang projiziert. Diese Symbole des christlichen Glaubens drehten sich langsam, bis sie auf dem Kopf standen; was folgte, war ein Urknall an ketzerischer Dynamik und untoter Aggression. Tom Araya schmetterte in bemitleidenswerter Verfassung (er hat seit einigen Jahren „Rücken“ und darf nicht mehr headbangen), aber mit gewohnt lässiger und zugleich sympathischer Attitüde einen Wahnsinnsgig in die Nachtluft. Gary Holt an der zweiten Gitarre und Paul Bostaph an den Drums lieferten erfahrungsgemäß solide ab. Beide kennt man vom Thrash-Konkurrenten Exodus. Kerry King bleibt auch als Gründungsmitglied die einzige optische Schwachstelle der Band. Armbänder mit 9-Inch-Nägeln durchsetzt und umgedrehte Kreuze aus Nieten sind sooo Eighties… Aber schnell spielen kann der Mann noch immer. So wurden fast alle ersehnten Tracks aus über drei Dekaden noch einmal perfekt präsentiert. „War Ensemble“ ließ die Stimmbänder vibrieren, man musste einfach diesen infernalischen Schrei „Waaaaaaaarrrrrrr“ mitprusten. „Postmortem“ läutete das zweite Drittel des Sets ein und es folgten nunmehr Klassiker. „Black Magic“, „Seasons In The Abyss“ und „Dead Skin Mask“. Die Bühnenshow war eine perfekte Smybiose aus Lichteffekten und Flammenwerfern. Dazu wurde das typische, ätzend apokalyptische Artwork auf riesigen Bildern präsentiert.
Araya war nie als Mann der vielen Worte bekannt, wenngleich er Silben und Textfetzen so geschwind wie eine Maschinenpistole zu den Songs auszuspeien vermag. Eindrucksvoll wird das bei „Hell Awaits“ (an diesem Abend leider ohne das epische Intro) unter Beweis gestellt. Es gab vier Zugaben in Form von „South Of Heaven“ (der fieseste und gemeinste Song, der jemals geschrieben wurde), „Raining Blood“ (der zweitfieseste und zweitgemeinste Song, der jemals geschrieben wurde) sowie „Chemical Warfare“. Zum allerletzten Mal wurde das Heineken-Backdrop zu Ehren des verstorbenen Bandgründers Jeff Hanneman emporgezogen und ein letztes Mal ging die Welt zu „Angel Of Death“ (der drittfieseste und drittgmeinste Song, der jemals geschrieben wurde) unter. Nach diesen knapp fünf Minuten voller Doublebass und animalischem Geschrei, kehrte langsam Stille ein. Die Beleuchtung wurde angeknipst und auf einmal sah es nicht mehr so düster aus. Tom Araya blickte mehrere Minuten lang wortlos ins Publikum und sog den Jubel auf. Er ruinierte diesen Moment nicht mit pahtosgeschwängerten Plattitüden sondern verabschiedete sich knapp und auf Deutsch: „Ich werde Euch vermissen“. Wir Dich auch, Mann! (ODI)